„Flughunde“ von Uli Lust

Flughunde

 

 

 

 

 

 

Hermann Karnau ist Tontechniker und bereitet eine Großveranstaltung vor. Kein Rockkonzert – es wird eine Rede sein. Eine Rede des Führers. Wie bedeutsam hierfür die Technik ist, sogar bei einem taubstummen Publikum, dass weiß Karnau. „Die hohen Frequenzen für die Schädelknochen, die diedrigen für den Unterleib“. Diesen kühlen wissenschaftlichen Blick – zwischen Biologie und Technik hin- und hergerissen, behält Karnau bei. Am Ende werden seine Wissenschaft rassistisch unterfüttert und seine Experimente zur Folter geworden sein … Menschen sind ihm eigentlich fremd und unverständlich, alleine in ihren Stimmen erkennt er einen Ausdruck, den er zu interpretieren vermag. Auch Kinder sind ihm fremd. Das zeigt sich bei den Kindern des „Doktors“ – unverkennbar Goebbels, den er häufig besucht. Doch in ihnen sieht er zugleich eine Unschuld, die er an den niedlichen Ahs und Ohs ihrer Stimmbänder auszumachen weiß. Später wird er traurig ihren letzten Atemzügen vor ihrer Vergiftung um Führerbunker auf Schallplatte lauschen.

Nach ihrem meisterlichen Comicroman „Heute ist der letzte Tag vom Rest Deines Lebens“ legt Ulli Lust mit der Adaption von Marcel Beyers Roman „Flughunde“ erneut ein opulentes und nicht minder erstaunliches Werk vor. Auf gut 350 farbigen Seiten kreuzen sich die Geschichte eines Experten für Akustik und die der Töchter von Goebbels. Lust findet für diese ungewöhnliche Perspektive auf das NS-Regime immer wieder erstaunliche Bilder und zieht den Leser emotional, aber auch intellektuell tief in die Geschehnisse. Fassungslos begleitet man Karnaus für die Rassenideologen typische Entwicklung: Hinter seiner netten Erscheinung wird er immer mehr zum abgründigen Ideologen, ohne dass der Person dieser Widerspruch bewusst wird. Während er zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, zu einem Massenmörder wie Jeffrey Dahmer oder Ted Bundy mutiert wäre, kann er im NS-Regime Karriere machen.

Die bedrückende, von der menschenverachtenden Ideologie geprägte Stimmung fängt Lust in Grautönen und gedeckten Farben ein. Anfänglich sind die Szenen mit den Kindern noch rosa, werden dann immer fahler. Hier und da macht Lust Aussparungen, um Beyers Text in den Griff zu bekommen. Das gelingt gut, denn die Themen des Originaltextes sind auch bei Lust in erdrückender Art präsent. Die letzten Seiten, die die Tage im Bunker zeigen, sind emotional derart erschreckend, wie man es in einem Comic selten erfährt. Die Schwierigkeit, Töne im Comic darzustellen, gelingt ihr mit leichter Hand. Mal expressiv, und wenn es um den Gegensatz – die Stille – geht, so legt sie sich schwer auf die Bilder, bis sich alles im schwärzesten Schwarz auflöst (Suhrkamp Verlag).