„Mutter und Sohn“ von Călin Peter Netzer

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Cornelia gehört der rumänischen Oberschicht an. Mit Pelzmantel und BMW kutschiert sie durch die Gegend, und sie benimmt sich so, als gehörte ihr die Welt. Die erfolgreiche Architektin ist es gewöhnt, dass sich alles nach ihr richtet. Ihr Mann ist längst weg, zu spüren bekommt ihr Verhalten jetzt ihr Lebensgefährte und immer noch ihr schon lange erwachsener Sohn … So mischt sich Cornelia auch massiv in das Familienleben des 30Jährigen ein. Keine Frage: Cornelia ist massiv übergriffig, manipulativ und egomanisch. Und sie kommt damit durch. Deswegen ist es für sie eine Selbstverständlichkeit, dass alles immer so läuft, wie sie will. Auf der Polizeiwache lauscht sie an der Tür, während ein Polizist ein vertrauliches Gespräch führt. Sie lässt sich die Aussage ihres Sohnes Barbu vorlesen, und fordert schließlich das Blatt, um es selber lesen zu können. Sie diskutiert mit den Polizisten den Tathergang, und schließlich besteht sie darauf, dass ihr Sohn seine Aussage dergestalt ändert, dass er als unschuldig gelten kann: Er soll statt der 140 km/h lieber die zugelassenen 110 km/h eintragen. Das alles geschieht vor den Augen der protestierenden Polizisten. Wenn sie später für einen Kondolenzbesuch bei der Familie des Unfallopfers auftaucht, dann vor allem, um die Familie zu bitten, die Anzeige gegen ihren Sohn zurückzunehmen. Dass sie zwischendurch tatsächlich von Mitleid geschüttelt wird, aber immer wieder das Leid ihres Sohnes als Unfallverursacher in die Waagschale wirft, macht die Szene nur noch schwerer erträglich. Nein, schön ist der Film nicht: Călin Peter Netzer ist kein Ingmar Bergman, bei dem sich die Menschen in schönsten, symbolträchtigen Einstellungen psychisch zerfleischen. Bei Netzer ist das Hässliche hässlich. Das gilt ebenso für die visuelle wie für die narrative Ebene. Die Mutter nervt nicht lustig, und sie nervt auch nicht melodramatisch – sie nervt einfach.

Pelzer steht deutlich in der Tradition des jüngeren rumänischen Kinos, das solche Filme wie den Cannes-Gewinner von 2007 „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ von Cristian Mungiu hervorgebracht hat. Mungiu war der erste rumänische Gewinner der Goldenen Palme. Luminita Gheorghiu, die Darstellerin der Cornelia, spielte hier mit, Netzers Drehbuchautor Răzvan Rădulescu stand damals beratend zur Seite. Auch Mungius Film über die Folgen eines illegalen Schwangerschaftsabbruchs sieht alles andere als schön aus. Und auch „Police, adjective“ von Corneliu Porumboius, der letzte rumänische Film, der in den deutschen Kinos lief, war gleichsam von der Langsamkeit wie von der Trostlosigkeit des Alltags geprägt. „Mutter und Sohn“ ist das eindrucksvolle Psychogramm einer Frau, ihrer Beziehung zu dem Sohn und dem restlichen Umfeld. Es ist auch das Psychogramm eines ganzen Landes. Denn was zunächst wie eine persönliche, von autobiografischen Aspekten des Regisseurs geprägte Geschichte wirkt, hat natürlich auch seine gesellschaftliche und politische Komponente. Alleine wenn man sieht, wie Cornelia (Luminita Gheorghiu) auf der Polizeiwache versucht, die Regie zu übernehmen, wird vieles klar.

(Bundesstart: 23.5.2013)