„Ein Frühling in Tschernobyl“ von Emmanuel Lepage

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Das klingt etwas zynisch – „Ein Frühling in Tschernobyl“. Tatsächlich ist der neue Comic von Emmanuel Lepage alles andere als Zynisch: Lepage macht sich mit Kollegen auf, um rund 25 Jahre nach der Reaktor-Katastrophe die Zustände im verstrahlten Sperrgebiet um Tschernobyl zu dokumentieren, erkundet die zugewachsenen Städte, die deformierte Natur und trifft Menschen in der Umgebung. Mit diesem dokumentarischen Comic liefert Lepage ein eindrucksvolles Bild einer vergessenen Landschaft, die vom schleichenden Tod befallen ist, dessen Anblick aber mitnichten vom Grauen der Geschichte, dessen Konsequenzen bis in die Gegenwart reichen, gezeichnet ist. Lepage ist bei den Expeditionen in die Sperrzone anfangs ängstlich und vorsichtig. Zunehmend reflektiert er aber seine widersprüchlichen Empfindungen in der surrealen, von Menschen entleerten Landschaft. Zum einen arbeitet er sich mühsam und für den Leser stets nachvollziehbar an der Frage ab, wie man etwas, das man nicht sieht, darstellen kann? „Wie kann ich das Unglaubwürdige vermitteln? Es bleibt nur der wissenschaftliche Kunstgriff. Die Mikrosievert-Werte unter jede Zeichnung“. Denn die Gefahr ist nicht nur unsichtbar, die verstrahlte Landschaft verwandelt sich in den frühen Maitagen seiner Reise vor den Augen von Lepage zudem in eine strahlende Frühlingsfauna. Die meist in düsteren Schwarzweiss-Zeichnungen gehaltenen Zeichnungen von den Expeditionen in das Sperrgebiet und der Kontakt zu den Menschen an dessen Rande wird zunehmend von eindrucksvoll leuchtenden, großformatigen Bildern der Frühlingslandschaft gebrochen. „Dabei bin ich in Tschernobyl“, wundert sich auch der Autor. Lepage spielt in seinen aufwändigen Zeichnungen sparsam, aber kunstvoll mit Farbeinsatz und erzeugt eine unwirkliche Stimmung. Die emotionalen Bilder von Emmanuel Lepage muss man Gemälde nennen. Und dennoch ist der fantastische Band eine Dokumentation des Realen. Nicht nur das Ereignis an sich und dessen Dokumentation macht „Ein Frühling in Tschernobyl“ zu einem herausragenden Beispiel des Dokumentarismus, sondern vor allem die Einbindung der künstlerischen Fragestellungen, denen sich Lepage in Anbetracht der außergewöhnlichen Situation ausgesetzt sieht, macht das großformatige Album zu einem beispielhaften Werk des subjektiven Doku-Comics. Die Einnahmen kommen einem Projekt in der Umgebung von Tschernobyl zugute.