„Die unerschütterliche Liebe der Suzanne“
von Katell Quillévéré

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Man kennt ähnliche Biografien, und in jüngerer Zeit wurden sie auch im Kino des Öfteren erzählt: Eine junge Frau lässt alles hinter sich, um sich einem Mann anzuschließen, der – unabhängig von den Beweggründen und den moralischen Implikationen – auf die ein oder andere Art als Outlaw gelten kann, der mit Gewalt Gesetze bricht. Tamara Bunke schloss sich in den 60er Jahren Che Guevara an, Gudrun Ensslin zog zusammen mit Andreas Baader in den Krieg gegen die Bundesrepublik, der französische Staatsfeind Nummer 1 Jacques Mesrine hatte in Jocelyne Deraîche seine Muse gefunden. Und Magdalena Kopp lebte an der Seite des Terroristen Ramírez Sánchez alias Carlos, mit dem sie im Untergrund ein Kind bekam, das sie auf ihrer ständigen Flucht bis zur Verhaftung groß zog. Schon oft haben diese Biografien Eingang in die Kinogeschichte gefunden: Uli Edel hat mit dem Action-Epos „Der Baader Meinhof Komplex“ die Geschichte der RAF um Baader und Ensslin rekapituliert, Olivier Assayas mit „Carlos – der Schakal“ die Geschichte um Kopp und Sánchez. In seinem Dokumentarfilm „In the Darkroom“ hat der Regisseur Nadav Schirman im letzten Jahr ausgiebig Kopp interviewt, um der Faszination der Frau für den brutalen Terroristen auf die Spur zu kommen. Auch Katell Quillévéré hat in ihrem zweiten Film „Suzanne“, so der nüchterne Originaltitel, versucht, diese Faszination einzufangen. Doch das ist vielleicht schon die einzige Parallele, die man ziehen kann. „Suzanne“ ist kein Actiondrama, sondern ein hochemotionaler Spielfilm, der ein fiktives Schicksal erzählt. Politik spielt darin keine Rolle.

Widersprüchliche Frauenfigur
Nicolas (François Damiens) ist Lastwagenfahrer. Sein Beruf macht es ihm schwer, sich um seine beiden Töchter Suzanne (Sara Forestier) und Maria (Adèle Haenel) zu kümmern, nachdem die Mutter der Kinder gestorben ist. So sind die Mädchen meist in der Obhut von Verwandten. Doch wenn er mal da ist, ist er ihnen ein liebender Vater. Kurz vor ihrem Abschluss muss Suzanne, erst 17 Jahre alt, die Schule abbrechen, weil sie schwanger ist. Sie arbeitet zunächst in der Speditionsfirma, für die auch ihr Vater tätig ist, während die jüngere Schwester in die Großstadt zieht und dort in einer Fabrik arbeitet. Der Vater von Suzannes Sohn Charlie spielt in deren Leben keine Rolle, und als Suzanne die Entbehrungen als alleinerziehende junge Mutter zu viel werden, reist sie zu ihrer Schwester. Dort trifft sie wieder auf Julien (Paul Hamy), den sie kurz zuvor kennengelernt hatte und der sie sogleich faszinierte. Julien ist anscheinend in kriminelle Machenschaften involviert, aber das kümmert Suzanne nicht. Schon bald reißt sie alle Brücken zum bürgerlichen Leben ein und lässt ihre Schwester, ihren Vater und auch ihren Sohn zurück.

Katell Quillévéré erzählt die Geschichte mit großen Auslassungen, die den Zuschauer nötigen, die Zwischenräume selber zu füllen. Das gilt auch und vor allem für die Abwesenheit von Suzanne. Denn mit ihrer Flucht flieht die Figur auch aus dem Film. Dann erzählt Regisseurin Quillévéré über die verbliebenen Figuren von den weiteren Geschehnissen, zeigt wie Vater und Schwester mit der Abwesenheit von Suzanne umgehen. Das ist einer der entscheidenden Unterschiede zu den Anfangs angeführten Filmen, der „Suzanne“ davor bewahrt, in die Nähe eines Actionfilms zu geraten. Der Fokus liegt auf dem Gefühlsleben der Figuren – und er bleibt dort bis zum Ende. Der Film ist aber tatsächlich von Frauen wie Bunke, Ensslin und Kopp inspiriert. Quillévéré ist fasziniert von der Widersprüchlichkeit der eigentlich starken Frauenfiguren, die sich im Angesicht der gewalttätigen Männer in eine nur schwer nachvollziehbare Abhängigkeit begaben, die im Fall von Ensslin wie bei Suzanne mit sich bringt, das eigene Kind zu verlassen. Eine Mutter, die ihr Kind verlässt – das ist ein Tabu in unserer Gesellschaft, das auch Lars von Trier in seinem letzten Film „Nymphomaniac“ thematisiert hat.

Große Gefühlsdichte
Die Regisseurin erzählt ihre emotional aufgeladene Studie realistisch, aber nie spröde; der Film transportiert immer die Vitalität der Protagonisten. Die viele Musik (u.a. von der Girlgroup Electrelane) bringt schwungvolles Zeitkolorit. Doch die schönsten wie auch die schmerzvollsten Szenen sind eher schlicht gehalten und sparen sich jeglichen Pathos. Zuerst sind es die Darsteller – allen voran Sara Forestier – die diese Szenen tragen. Wenn Suzanne Julien trifft, wenn sie ihre Familie verlässt und wenn sie ihren Sohn nach Jahren wiedersieht, dann trifft der emotionale Gehalt den Zuschauer direkt ins Mark. „Suzanne“ ist Quillévérés zweiter Langfilm. Die erstaunlich souveräne Inszenierung der tiefen Emotionalität erinnert an die Arbeiten von Mia Hansen-Løve („Der Vater meiner Kinder“, „Eine Jugendliebe“). Beide Regisseurinnen sind erst Anfang 30, erreichen in ihren Filmen aber bereits auf ästhetisch souveräne Art eine unglaubliche Gefühlsdichte.

(Bundesstart: 19.6.2014)