Spiel mit den Regeln:
„Nimona“ von Noelle Stevenson

Auf „Nimona“ können sich alle einigen: Das funny Superhelden-Fantasy-Ritter-Epos der jungen Amerikanerin Noelle Stevenson spielt klug mit den Regeln der Genres: moralisch Fragen nach Gut und Böse sowie Figurenzeichnung und Erzählform werden hier unorthodox verhandelt bzw. auf den Kopf gestellt, und das mit einer entwaffnenden Spielfreude und Fabulierkunst.

Ballister Blackheart ist der Böse – er hat dunkle Haare. Ambrosius Goldenloin hat lange, engelsgleiche goldene Haare, und er ist natürlich der Gute. Das erscheint soweit alles regelkonform. Erzählt wird in „Nimona“ allerdings Blackhearts Geschichte, und zwar von dem Moment an, als ein junges freches Mädchen bei ihm Klingelt und sein Sidekick werden will. Blackheart ist das zunächst lästig, doch als Nimona sich als Gestaltwandlerin outet, ist sein Interesse geweckt. Denn mit Nimonas Fähigkeiten, jede noch so abwegige – vom Kleintier zum übergroßen Monster – oder auch naheliegende Gestalt – nämlich die einer real existierenden – anzunehmen kann er seinem Erzfeind und dessem Arbeitgeber – dem Institut für Recht und Ordnung – endlich eins auswischen.

250 Seiten schwer ist das Debüt der 24-jährigen Zeichnerin und Autorin, inzwischen hat sie mit „Nimona“ und ihrer all-female-Cast Serie „Lumberjanes“ etliche Preise – auch Eisner Awards – eingeheimst, steht auf der New York Times Bestsellerliste und hat in Hollywood für beide Comics die Filmrechte verkauft. Das ist eine verrückte Erfolgsgeschichte. Bedenkt man die Qualitäten dieses umwerfenden Debüts, ist der Erfolg aber gar nicht mehr so erstaunlich. Denn die lustige, auf den Kopf gestellte Superheldenparodie im mittelalterlichen Fantasy-Gewandt gewinnt nicht nur zunehmend an Tempo und Action, sondern wird mit den Backstories der Protagonisten bis zum ergreifenden Finale immer emotionaler und tiefgründiger. Stevensons Geschichte um Freundschaft, Treue und Verrat entfaltet zugleich eine zweite Ebene, mit der Macht und Propaganda beleuchtet werden. Auch zeichnerisch geht Noelle Stevenson eigene Wege und kombiniert ihre kantigen Linien mit allerlei Niedlichkeiten, die erst gegen Ende von den großen Emotionen dieses – man muss es so nennen: Epos übertrumpft werden.
Zuerst erschienen in Strapazin Nr. 126, März 2017