Zwischen Mystik, Aufklärung und Betrug
„Stupor Mundi – Das Staunen der Welt“
von Néjib

Stupor Mundi, das war schon zu seinen Lebzeiten der Zusatzname von Friedrich II von Hohenstaufen (1194-1250), König von Sizilien und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Trotz des Titels von Néjibs Comic „Stupor Mundi – Das Staunen der Welt“ ist aber nicht der König die Hauptfigur, sondern ein arabischer Gelehrter.

Nicht der historische Hannibal mit den Elefanten in den Alpen, sondern ein fiktiver orientalischer Wissenschaftler, der von Friedrich nach Apulien geholt wird, um eine seiner Erfindungen – eine Art prähistorische Fotografie, die per Lichteinfall auf mit Chemikalien getunkte Leintüchern bleibende Abbilder der Realität erschafft – zu vollenden. Doch gerade das bleibende an den Abbildern ist bislang das große Problem der Erfindung. Denn Hannibal erhält zwar stets ein Abbild, doch das verschwindet nach kurzer Zeit wieder. Hinter Friedrichs Plänen steckt nicht nur sein Interesse für Wissenschaft und den Orient, sondern vor allem seine Feindschaft zum Papst. Daher will er in guter alter Fake News-Tradition mit Hannibals Hilfe das Grabtuch Christi samt Abbild des Heilands herstellen. Eine solche Reliquie würde ihm im Machtkamp mit dem Papst einen guten Vorteil verschaffen.
Néjib, der für „Stupor Mundi“ 2016 in Angoulême mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde, erzählt in schlichten, aber ausdrucksvollen Zeichnungen, die an die Schule einiger L‘Association-Zeichner erinnert. Sowohl in Bezug auf das Genre als auch den Erzählstil lässt Néjib den Leser lange, wenn nicht bis zuletzt im Unklaren. Mit Hannibals Tochter steht ein zugleich niedliches wie keckes Mädchen im Zentrum der Handlung und einige groteske Details versprechen immer wieder Humor. Doch von Anfang an schwebt etwas Unheilvolles über dem Geschehen, das sich nach und nach über mittelalterliche Traumdeutung offenbart, aber auch in der Realität zunehmend Bahn bricht, bis die Grausamkeit, die man von einem Mittelalterthriller erwarten darf, offen zu Tage tritt. Doch Selbstzweck ist bei Néjib gar nichts. Vielmehr führt er uns in einem langen Erzählbogen zu philosophischen Fragen, die man nicht simpel stellen, geschweige denn beantworten kann. Die auf einem historischen Gerüst ruhende fiktive Geschichte mit beeindruckendem Gespür für Dramaturgie hinterlässt den Leser reich an Gedanken.
Zuerst erschienen in Strapazin Nr. 129