„RPM“ von Martina Lenzin

Der Comic wird ja immer wieder mit dem Film verglichen : Bei beiden gibt es das Zusammenspiel der visuellen und der verbalen Ebene, es gibt einzelne Einstellungen, Szenen und Schnitte, es gibt Farbbilder und Schwarzweiss. Ein entscheidender Unterschied ist, dass es im Comic keine Tonspur gibt … Für dieses Fehlen, dass kein Fehler, sondern eine erzählerische Herausforderung ist, werden immer wieder spannende Lösungen gefunden.
Martina Lenzin findet dafür keine Lösung in ihrer Geschichte über die ersten Schritte einer fiktiven britischen Post-Punk-Band. Aber auch das ist kein Fehler, sondern eine Konsequenz aus Lenzins Erzählhaltung. Denn die Geschichte handelt zwar von Musik, aber nicht von Sound. Es geht um Strategien, sich im Popdiskurs zu positionieren. Dazu gehören Entscheidungen, betreffend Manager, Auftreten, Studio, Tonträger etc. Überlegungen, die zu jener Zeit manchmal offen diskutiert wurden, beispielsweise bei der zweiten Single der avantgardistischen Popband „Scritti Politti“, wo die Produktionskosten der selbstverlegten Platte akribisch auf
dem Cover dokumentiert wurden. Lenzin spürt aber nicht nur solchen historischen Diskursen nach ; sie verlinkt ihre Geschichte mit der Gegenwart, indem sie in der Rahmenhandlung eine junge Musikjournalistin begleitet, die solche Diskussionen in einem Interview mit ihren historischen Helden ausgräbt. Aktuell ist das auch heute noch, in Zeiten der Digitalisierung, und auch für den Comic – denn die Fragestellungen sind durchaus auf andere Gattungen als Musik anwendbar. So ist „rpm“ zugleich ein Comic über ein Thema und das Thema selbt. Auch Lenzin muss ihr kulturelles Erzeugnis platzieren : Ihr Verlag Reprodukt als der grösste deutsche Independent-Comic-Verlag ist da sicherlich vergleichbar mit dem britischen Plattenlabel Rough Trade. Und die Frage, ob Hochglanzcover oder Recycling-Karton wie bei „rpm“, kann
zu einem bedeutenden Statement werden. Auf dem Rückcover gibt es dann noch ein nerdiges Referenzrätsel, wo Plattencover von „Père Ubu“, „Associates“, „The Normal“ u.a. mit dem anthropomorphen Tierarsenal des Comics nachgezeichnet wurden.

(Zuerst erschienen in Strapazin 103)