Gitti und Chris machen gemeinsam Urlaub auf Sardinien. Als sie zufällig auf ein befreundetes Paar stoßen, ist nicht nur die Zweisamkeit gestört, die Identität des Paares steht plötzlich auf dem Spiel … Sie lungern auf der Wiese rum, fläzen sich auf dem Bett und scheinen sich selbst zu genügen. Gitti und Chris genießen den Urlaub im sardischen Ferienhaus von Chris‘ Eltern. Gemeinsam machen sie sich über die spießige Einrichtung lustig und leben abgeschottet in den Tag hinein. Chris scheint allerdings weniger gelöst zu sein als Gitti. Der Architekt wartet auf das Ergebnis eines Wettbewerbs, den er für seine stockende Karriere dringend gewinnen muss. Als er eine Absage erhält, verschweigt er Gitti die Nachricht. Erste Spannungen machen sich zwischen den beiden bemerkbar. Dann treffen sie zufällig beim Einkauf Hans, einen alten Studienkollegen von Chris. Gemeinsam mit seiner schwangeren Frau verbringen sie einen Abend, der zum Eklat wird. Chris‘ berufliche Unsicherheit prallt auf Hans Prahlerei, und Gittis Versuch, Chris zu verteidigen, gerät zum Fiasko. In den nächsten Tagen entfaltet sich zwischen dem scheinbar glücklichen Paar ein zunächst subtiler Machtkampf, der immer offensiver wird und Unsicherheiten, Zukunftsängste und Entscheidungsnöte evoziert.
„Alle Anderen“, der bei der Berlinale zwei Silberne Bären gewann und auf dem Internationalen Frauenfilmfestival den Internationalen Wettbewerb, ist erst der zweite Film von Maren Ade. Aber bereits mit ihrem Debüt „Der Wald vor lauter Bäumen“ konnte sie die Kritiker begeistern. Die Geschichte um eine junge Lehrerin, deren Leben auf der Suche nach sozialem Anschluss entgleist, überraschte mit einem unbarmherzigen Blick auf die übergriffigen und peinlichen Handlungen der Protagonistin, ohne, dass der Film seine Hauptfigur der Lächerlichkeit preisgegeben hätte. Ades neuer Film ist viel unspektakulärer. In einzelnen Momenten zeigt er noch die Kraft, peinlichen Momenten standzuhalten. Aber darum geht es nicht. Es geht um eine Genauigkeit der Beobachtung zwischenmenschlicher Feinheiten, die man nur in wenigen Filmen derart gelungen vorgeführt bekommt. Kleinste Verschiebungen der Dominanz zwischen Chris und Gitti sind an beiläufigen Gesten oder der Körperhaltung abzulesen, das Schweigen ist vielsagend, die Worte mehrdeutig. Maren Ade führt uns die Orientierungslosigkeit zweier Thirtysomethings mikroskopisch vor. Nicht nur pragmatische Entscheidungen wie Zusammenbleiben oder Trennen, Kinderkriegen oder nicht und das Ringen um Selbstverwirklichung und das berufliche Glück werden vor den Augen der Zuschauer minutiös, wenn auch nicht immer verbal, verhandelt. Die gesamte Identität der Figuren – für sich und im Verhältnis zum Partner – steht ständig zur Debatte. Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Maren Ade und ihre begnadeten Darsteller Birgit Minichmayr und Lars Eidinger bringen all das scheinbar spielerisch und nicht ohne Humor zur Anschauung.
(Bundesstart: 18.6.2009)
INTERVIEW MIT MAREN ADE ZU „ALLE ANDEREN“:
Ihr Debüt „Wald vor lauter Bäumen“ war ein großer Kritikererfolg. Seitdem ist einige Zeit vergangen. War der Erfolgsdruck groß?
Ja, ich habe mich schon schwer getan etwas Neues zu finden. Bei meinem ersten Film habe ich einfach ‚gemacht‘. Aber in erster Linie mache ich mir selbst Druck mit meinen Ansprüchen. Einerseits wollte ich mich nicht wiederholen, andererseits wurde mir bewusst, was am letzten Film gut ankam. Davon musste ich mich freimachen. Und am Ende haben beide Filme dann doch eine Ähnlichkeit.
Wie kam die Themenfindung für den zweiten Film schließlich zustande?
Am Anfang steht für mich mehr eine Figur als ein Thema. Die taucht meistens zuerst auf. Das war bei „Alle Anderen“ Gitti. Ich wollte eine Figur haben, die sehr eigenwillig ist. Jemand, mit dem es schwer ist, eine Beziehung zu führen. So kam das Thema Liebe dazu. Auch wenn „Alle Anderen“ kein klassischer Liebesfilm ist, ist es für mich ein Film über Liebe.
„Alle Anderen“ funktioniert trotz luftiger Open Air-Szenerie wie ein Kammerspiel. Damit steht und fällt alles mit den Schauspielern und den Dialogen. Durch welche Eigenschaften mussten sich ihre beiden Hauptdarsteller auszeichnen?
Sie mussten in erster Linie gut sein. Und natürlich auf die Rollen passen, zueinander passen. Das war eigentlich das interessanteste und schwierigste. Ein glaubwürdiges Paar zu finden. Bei den beiden mochte ich, dass man nicht genau wusste, wer von beiden der Stärkere oder Schwächere ist. Das Machtverhältnis war unklar. Und sie mussten mit dem Buch etwas anfangen können. Ich rede am Anfang eines Castings immer kurz über das Buch. Das ist mir wichtig.
Nicht nur das Spiel, auch die Dialoge wirken sehr realistisch und spontan. Wie sehr ist das alles durch das Drehbuch vorgegeben, wo fängt die Improvisation an?
Das war ein richtiges Drehbuch und zum großen Teil steht auch alles so drin. Ich versuche trotzdem, den Darstellern viel Freiheiten zu lassen. Auch eine geschriebene Szene kann man auf so viele Arten spielen. Die beiden haben sich sehr stark eingebracht und ihren Figuren viel von sich geschenkt, auch wenn nicht viel improvisiert war.
Anders als bei ihrem Debüt, das sicherlich für viele Zuschauer funktionierte, weil der Film soziologisch auf einen spannenden Extremfall blickt, ist „Alle Anderen“ weniger spektakulär. Damit funktioniert er vielleicht nur für ein Publikum, dass sich mit den Figuren identifizieren kann. Oder transportiert der Film doch etwas Allgemeingültiges?
Ich glaube schon, dass der Film etwas Allgemeingültiges hat. Die Angst der beiden, dass der andere sie nicht so liebt wie sie sind, die Sehnsucht danach, seine Beziehung neu erfinden zu können, der Moment in dem Gitti und Chris beginnen, das andere Paar zu imitieren, ihnen nachzueifern. Da hatte ich bei den Vorführungen das Gefühl, dass eigentlich alle Altersgruppen etwas damit anfangen können, aus unterschiedlicher Perspektive. Aber natürlich ist Film immer Geschmackssache.
Zuerst erschienen in choices 06.09