„Das Weisse Rauschen“ von Hans Weingartner

Die Wirklichkeit des Wahns

Hans Weingartners Film ‚Das Weisse Rauschen’ beschreibt realistisch den Kampf eines Schizophrenen mit seiner Krankheit.

Das weisse Rauschen entsteht, wenn alle Information gleichwertig präsent ist, eine Selektion nicht stattfindet. Don DeLillo nannte schon 1984 einen Roman über eine private Apokalypse ‚White Noise’, jetzt verwendet Hans Weingartner diesen Begriff für seinen ersten abendfüllenden Film. Auch bei ihm geht es um den Zusammenbruch eines Menschen. Lukas (gespielt von Daniel Brühl) zieht zu Beginn des Studiums von der Provinz zu seiner Schwester Kati (Anabelle Lachatte) in die Großstadt. Durch das neue soziale Umfeld verunsichert, erkrankt er an einer vererbten Schizophrenie. Erste Überreaktionen steigern sich zu drastischen emotionalen Ausfällen und führen bei ihm schließlich zu einer ausgeprägten Paranoia mit Wahnvorstellungen: Lukas hört Stimmen – beschimpfende, befehlende, Verschwörungen suggerierende – die gleichermaßen auf ihn wie auf den Zuschauer ungeordnet und sich überlagernd einstürzen.

Hans Weingartner widmet sich mit Weisses Rauschen, seinem Abschlussfilm für die Kunsthochschule für Medien in Köln, einem häufig im Kino behandelten Thema. Dort sind psychisch Kranke jedoch in der Regel entweder Genie, Gewaltverbrecher oder einfach Gaglieferant. Weingartner interessieren solche plakativen Zuordnungen nicht. Weder thematisch noch ästhetisch lässt er sich auf die Klischees des ‚großen’ Kinos ein. Stattdessen erzählt er vom Ausbruch dieser ungewöhnlichen, leider aber gar nicht seltenen Krankheit in einem schlichten, dokumentarischen Stil. Der Film wurde ohne aufwändige Beleuchtung oder Tontechnik mit drei Handkameras auf DV (Digital Video) gedreht. Dadurch konnte man mit einem kleinen Stab von nur 7 Personen und ohne ein ausformuliertes Drehbuch viel Improvisieren und auf unerwartete Entwicklungen spontan reagieren. Zudem wurde in der Zeit der 6 wöchigen Dreharbeiten hauptsächlich in Weingartens eigener Wohnung gedreht, so dass allmählich Arbeit und Freizeit, Drehort und Wohnort, Film und Realität förmlich miteinander verschmolzen.

Die Ähnlichkeit zu den Produktionsprinzipien von Dogma-Filmen ist kein Zufall – Weingarten ist bekennender Dogma-Fan! Und das Manifest des Dänischen Regisseurs Lars von Trier (‚Idioten’!) offenbart auch bei Weingartens Film seine künstlerischen Qualitäten. Alleine die schlichte Entstehung der Aufnahmen bewirkt beim Zuschauer eine eindringliche Präsenz der Protagonisten und ihrer Konflikte. Daher kann Weingartner auf ‚handelsübliche’ Effekte bei der Darstellung von Psychose oder Drogenrausch (was hier einer der auslösenden Momente der Psychose von Lukas ist) wie Zeitlupe, Unschärfe oder den Einsatz von Farbfiltern verzichten und lässt stattdessen den Blick der Kamera durch größere Nähe und weniger Stabilität der Bilder noch aufdringlicher, fragender und gleichzeitig unsicherer werden. So erhalten die Szenen der psychotischen Schübe entsprechend der im Inneren des Protagonisten wütenden Paranoia etwas bedrohliches und klaustrophobisches. Genau wie Lukas Abgrenzungsvermögen nicht mehr funktioniert, die äußeren Reize auf ihn einstürzen, kann sich der Zuschauer von dem wirbeln der Bilder und Töne nicht mehr distanzieren.

Man merkt dem Film in jeder Sekunde an, dass der Regisseur sein Thema kennt. Und wirklich: Weingartner hat vor seinem Studium an der Kölner Medienhochschule Gehirnforschung studiert und sich und den Hauptdarsteller in langen Gesprächen mit einem von der Krankheit Betroffenen auf die Arbeit vorbereitet. Der Film meidet daher jede Beschönigung: Auch als die Diagnose vorliegt, reagiert Lukas’ Umfeld (nachvollziehbar) hilflos auf dessen ‚Verrücktheiten’. Schizophrenie ist eben kein cooler Trip einer künstlerisch veranlagten Person – auch wenn Lucas’ veränderte Wahrnehmung zu faszinierenden Handlungen (z. B. bei der Zimmergestaltung) führt und in großangelegten Verschwörungstheorien immer auch ein kreatives Potential liegt. Bunte Trickeffekte würden das Thema jedoch verfehlen.
Bundesstart: 31.1.2002

Zuerst erschienen in: Süddeutsche Zeitung, NRW-Ausgabe

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