Ruth hat fünf Kinder. Vier davon leben bei Ruths Mutter Isabella. Ihren Vater kennt Ruth nicht. Auf der Flucht vor der Polizei sucht die Gelegenheitsdiebin ihn in Belgien …
Rabenmutter! Das wirft die fünffache Ruth ihrer Mutter Isabella vor. Ruth selber scheint aber auch kein Muttertier zu sein, obwohl sie fünf Kinder hat. Nach einer Gefängnisstrafe holt sie ihre Kinder wieder zu sich, und mit dem US-Soldat Marc gelingt für eine kurze Zeit eine Art Familienleben. Doch Ruth ist zu einem verantwortlichen Leben als Mutter überhaupt nicht in der Lage. Maria Speth portraitiert mit strenger Sachlichkeit und ohne jeglichen Symbolismus das Leben von Ruth und ihre Unfähigkeit, die Fehler ihrer Mutter nicht zu wiederholen. Ein kühler und bitterer Blick auf eine Realität, in der Frauen oftmals von ihrer Rolle überfordert werden. Die prototypische Rolle des gescheiterten Vaters übernimmt in einem kurzen Auftritt Olivier Gourmet, bekannt aus den Filmen von Jean-Pierre und Luc Dardenne.
Interview mit Maria Speth
Viel Identifikationspotential bietet die egoistisch handelnde Figur der Rita nicht. Soll oder kann der Zuschauer überhaupt Verständnis für sie aufbringen?
Es war mir wichtig weder moralisch zu werten noch in eine bestimmte Richtung zu emotionalisieren. Ich wollte eher beobachtend auf das Geschehen blicken. Der Raum, den ich der Figur eröffne, ist daher ein Raum für die Wahrnehmung der Zuschauer. Ich würde Rita in etwa wie folgt beschreiben: Rita hat Probleme, bestimmte Realitäten anzuerkennen. Sie versucht, nach einer Art „Lustprinzip“ zu leben und weigert sich, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Sie ist in dieser Hinsicht „kindlicher“ als ihre älteste Tochter Fanny.
Rita hat Schwierigkeiten, Bindungen oder Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Das hat mit Erfahrungen zu tun, wie sie sie mit ihrem Vater in Belgien macht. Sie fühlt sich daher in unverbindlichen Beziehungen wohler. Damit kann sie umgehen. Das entspricht ihren Erfahrungen. Sie hat fünf Kinder von verschiedenen Vätern. Überwiegend amerikanischen Soldaten. Männern, die in Kasernen leben und nur vorübergehend in Deutschland stationiert sind. In ihrer Selbstwahrnehmung sieht Rita diese Art zu leben natürlich nicht als Problem. Im Gegenteil. Sie ist stolz auf ihre Unabhängigkeit.
„Ich kann überall leben.“ „Ich lass mir nichts gefallen.“ Und das ist deshalb natürlich auch ein Leben in der Gegenwart. Sorge, sprich Verantwortung für die Zukunft, kommt darin nicht vor.
Der kontrapunktische Titel des Films erinnert an „Prinzessin“, einen anderen neuen deutschen Film über Mädchen, die die klassische Rolle verweigern. Was steckt hinter dieser Provokation des Kontrastes zwischen Titel und Protagonistin?
Rita ist ja eine sehr andere Art von Mutter, als sie durch die „Madonna mit Kind“ symbolisiert wird, sozusagen dem „Inbegriff der Mutter“. Zu dieser sozialen Abstraktion der Mutterrolle wollte ich die Figur der Rita in ein Spannungsverhältnis setzen. Denn die Gesellschaft ist voll von Müttern, die diese Rollenerwartungen aus unterschiedlichsten Gründen nicht erfüllen wollen oder können. Das ist auch ein milieuunabhängiges Phänomen. Wenn diese Erwartungen von den Müttern nicht erfüllt werden, folgt sehr schnell sozialer Druck oder gar Ächtung.
Vielleicht assoziiert man kurz die so genannte Berliner Schule, aber eigentlich passt „Madonnen“ nicht dahin. Vom poetischen Realismus der Berliner Schule bleibt nur der Realismus. Der Gastauftritt von Olivier Gourmet, dem Lieblingsdarsteller der Dardenne-Brüder, wirkt hingegen wie eine Hommage an deren Kino. Ist das ein Bezugspunkt für Ihre Arbeit?
Natürlich kenne ich die Arbeit der Dardennes und schätze sie. Und da ein Teil des Films in Belgien gedreht wurde, ergab sich die Möglichkeit mit Olivier Gourmet zu arbeiten, den ich aber schon früh als ideale Besetzung empfunden hatte. Es sollte aber keine Hommage sein. Dafür sind die Unterschiede bei der Art und Weise der Konstruktion der Erzählung auch viel zu groß.
(Bundesstart: 6.12.2007)
Zuerst erschienen in choices 12/07



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