‚Es‘ ist nackt
Killoffer ist zusammen mit Lewis Trondheim Gründungsmitglied des großartigen Comic-Verlags L’Association. Eine Art Verlag der Autoren, aber auch ein Autorenverlag, denn hier toben sich erkennbar Subjekte aus. Killoffer ist wie sein Kollege Trondheim ein nicht gerade zartbesaitetes Subjekt. Das zeigt auch sein jüngst in deutsch erschienenes Album „Sechshundertsechsundsiebzig Erscheinungen von Killoffer“…
Gleich zu Anfang schon steigert sich der in Kanada gelandete Franzose in die Frage hinein, was mit dem in der Spüle in Paris vor sich hin gammelnden Geschirr wohl während seiner Abwesenheit passieren mag? Der Schmutz und Dreck quillt auf, vermehrt sich, brodelt, lebt, wird zum abartigen Morast. Was in Paris wirklich geschieht … wer weiß das schon? In Kanada jedenfalls mutiert Killoffers Wesen gemäß eben jener Fantasie: Killoffer vermehrt sich: Er rennt durch Straßen, sitzt in Cafés, geht in Clubs – und immer sind seine Alter Egos zugegen. Vor allem in seiner Wohnung haben es sich seine Ebenbilder gemütlich eingerichtet – dort hausen sie regelrecht. Unzählige Killofers hängen dort herum – nackt, saufend, fressend, rauchend, fickend (gerne ein Ebenbild das andere). Auch auf der Strasse und in den Etablissements der Stadt randalieren sie. Sie zetteln Schlägereien an, belästigen Passanten, vergewaltigen.
Killoffer kämpft in dem fast wortlosen Album mit sich und seinen Trieben, seinen Fantasien, alles garantiert von der widerwärtigsten Art. Das ‚Es‘ lässt hier voll die Sau raus und ‚Ich‘ und ‚Über Ich‘ werden kaum Herr der Lage. Bis das Killoffer-Ich zum großen Gegenschlag ausholt und ein sagenhaftes Massaker anrichtet. Das sieht dann wiederum auch nicht weniger übel aus als die Taten der Alter Egos.
Ein gemeines kleines-großes Werk hat der französische Zeichner da geschaffen. Ein Ringen mit sich selbst, das virtuos inszeniert ist. Die Spaltung der Persönlichkeit erfasst Killoffer in ganzseitigen Panels, die kaum definierte Räume öffnen und imposant durch die Zeitachse gleiten. Und eben auch durch so etwas wie eine ‚Psychoachse‘. Doch trotz allem Gewusels gibt Killoffer klare Linien und starke schwarzweiss-Kontraste vor, so dass man die splatterigen Wimmelbilder gegen alle angewandten Mittel der Desorientierung entschlüsseln kann. Großartige Schlachtengemälde der Psyche sind das, in denen er eine wahrlich nicht zimperliche Selbstentblößung an den Tag legt. Eine Großtat!
(Reprodukt)



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