Ohne Daseinsvorsorge
Privatisierung in der Welt: Die Eisenbahn in England, Strom in Südafrika, Wasser in Bolivien, das Gesundheitswesen auf den Philippinen. Der Kapitalismus erreicht die Grundversorgung und produziert Armut. Pünktlich zum G8-Gipfel und den damit einhergehenden Protesten kommt ein kritischer Blick auf die Folgen der Globalisierung in die Kinos.
Anfang Juni findet der G8-Gipfel in Heiligendamm statt. Dort werden wieder die mächtigsten Wirtschaftsstaaten über die Lage der Welt diskutieren und eventuell generös ein paar Schulden erlassen. Dass es damit nicht getan ist, sondern in Zeiten von Liberalisierung und Globalisierung die Ausbeutung der so genannten Dritten Welt strukturell gefestigt ist und von den eigentlich zum Gegenlenken installierten Organisationen wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds noch forciert wird, zeigt die Dokumentation von Florian Opitz auf. Anhand von vier Beispielen aus der ganzen Welt demonstriert er, wie der vom Westen an eine Kreditvergabe gekoppelte Zwang zur Privatisierung im Bereich der Daseinsvorsorge, also Gesundheits-, Transport-, Energie- und Wasserversorgung, zunehmend Elend produziert. Opitz liefert unpathetisch mit seinem bedrückenden Film treffende Beispiele für den Verlust der staatlichen Fürsorge.
Interview mit dem Regisseur Florian Opitz …
Globalisierung, Liberalisierung, Privatisierung der Daseinsvorsorge – das sind Schlagworte, die schon seit einigen Jahren kursieren. Was führte dazu, das Thema gerade jetzt anzugehen?
Ich bin das Thema bereits im Jahr 2002/2003 angegangen. Die Produktion eines Dokumentarfilms dauert nur oft länger als die einer Fernsehdokumentation oder die eines Spielfilms. Wir haben uns viel Zeit für unsere Protagonisten genommen, auf vier Kontinenten gedreht und dabei ein verhältnismäßig kleines Budget gehabt. Das alles trägt zu längeren Produktionszeiten bei. Zu der Zeit wurde Privatisierung im öffentlichen Diskurs und vor allem in den Medien noch überwiegend positiv kommentiert. In Zeiten knapper öffentlicher Kassen wurde den Menschen Privatisierung als Allheilmittel für mehr Effizienz, günstigere Preise und mehr Wettbewerb angepriesen. Und das, obwohl es besonders im Bereich der öffentlichen Dienste viele Negativbeispiele gab. Ich wollte dieses abstrakte und scheinbar langweilige Thema, das uns ja alle betrifft, konkret und verständlich machen und gleichzeitig eine eindringliche Geschichte erzählen, die eben nicht erklärende Fernsehdokumentation, sondern Kino ist. Es stimmt aber: Seit Drehbeginn vor vier Jahren ist das Thema sicher mehr in die Mitte der Gesellschaft gerückt.
Wie kamst Du zu den einzelnen Fallbeispielen des Films?
Erfahrungsberichte oder Fallbeispiele waren 2003 in der Presse noch kaum zu finden. Ich hatte Zugang zu einem extrem gut sortierten internationalen Pressearchiv. Man konnte nachlesen, welches öffentliche Unternehmen als nächstes privatisiert werden sollte und wer wie auf dem Aktienmarkt davon profitieren konnte. Ich habe dann systematisch bei Universitäten, UN-Organisationen, Gewerkschaften und NGOs (Nichtstaatliche Organisationen/CM) nachgefragt und so einzelne Fallbeispiele bestimmter Sektoren oder bestimmter Länder rund um den Globus erhalten, wo die Privatisierung schon etwas weiter vorangeschritten war. Davon habe ich dann jeweils eines pro Sektor und Kontinent ausgewählt. Der Faktor Konflikt und Widerstand war bei der Auswahl ebenfalls wichtig.
Die Szene mit der handbetriebenen Lungenpumpe stellt den Zynismus der Privatisierung von Gesundheit treffend dar. Gab es denn trotzdem ein kurzes Zurückschrecken davor, diese Bilder zu verwenden?
Nein. Denn diese Szene ist ganz organisch, völlig ohne unser Zutun entstanden. Ein absoluter dokumentarischer Glücksfall. Den Krankenpfleger Delfin haben wir erst zwei Stunden vorher kennen gelernt und wir hatten ihn bereits interviewt. Mein Kameramann wollte ihn nur noch bei der Arbeit drehen. Plötzlich hat Delfin aber angefangen, sich ganz autonom der Kamera zu bedienen, um das zu sagen und zu zeigen, was ihm schon immer auf den Nägeln brennt. Nämlich, dass er seit der Privatisierung nicht mehr allen Menschen so helfen darf, wie er es eigentlich könnte. Die, die es sich nicht leisten können, darf er nicht behandeln, obwohl die Geräte dafür da sind.



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