„Solange Du hier bist“ von Stefan Westerwelle (Interview)

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Der Rentner Georg wohnt alleine in seinem Haus. Der junge Stricher Sebastian ist fast sein einziger Kontakt. Er wartet auf ihn, und wenn er kommt, verbringen die beiden Stunden mit Erzählen, Kochen, rumalbern und Sex. Das Abhängigkeitsverhältnis in der Beziehung ist wechselseitig, der Grundton zwischen dem ungleichen Paar trotz gelegentlicher Heiterkeit melancholisch …   

Die Beziehung zwischen dem alten und dem jungen Mann ist sehr vielschichtig: Einerseits sexuell, andererseits aber auch freundschaftlich und letztlich ist es auch eine Art Vater-Sohn-Beziehung. Was ist der Hintergrund für eine solch ungewöhnliche Geschichte?

Der Hintergrund sind persönliche Erfahrungen, die sich in der Zeit meines bisherigen Lebens angesammelt haben, aber nie wirklich zu einem Bild zusammengefunden haben. Sicherlich hat meine intensive Freundschaft zu meinem damaligen Schauspiellehrer und meine spätere Zivildienstzeit im Altenheim einen starken Einfluß. In der Zeit war ich das erste Mal mit alten Menschen konfrontiert und zeitgleich wurde mir bewußt, daß auch meine Jugend kein ständiger Zustand ist. All diese Menschen zeigten mir ein zukünftiges Bild meiner selbst. Mein Blick in diese Art Spiegel verwandelte sich ziemlich schnell von einem ängstlichen in einen neugierigen. Ich entdeckte so viele Parallelen und war sehr fasziniert von der großen Intensität der Freundschaften und stellte fest, daß ich mich in kaum einer Form (außer der äußerlichen) unterscheide. Der Film versucht sich an eine Hommage an dieser Begegnungen und Freundschaft.

Die Lebenshintergründe der beiden werden nur ausschnitthaft beleuchtet. Ähnlich bewegt sich die Kamera im Haus, es herrschen Groß- und Detailaufnahmen vor, die das Umfeld ertasten. Das wirkt zuweilen fast wie ein kriminologisches Einkreisen …

Ich würde es eher als ein akribisches und offenes Suchen bezeichnen. Diese Haltung dem Film, dem Stoff und den Figuren gegenüber entwickelte sich bereits in einer sehr frühen Phase des Drehbuchschreibens. Als ich mir bewußt wurde, daß die Hauptfigur um einiges reicher an Erfahrung ist als ich selbst, stellte ich schnell fest, daß die Figur nicht echt sein konnte, wenn ich nur meine eigenen naiven Hoffnungen und Ängste auf sie projizieren würde (damals war ich 25 Jahre alt). Ich versuchte also eine Form zu entwickeln, in der ich mich von dramaturgischen Kniffen oder Behauptungen ablösen und mich ganz dem intuitiven Aufspüren und Beobachten der Figur widmen konnte, die letztlich ein Mensch sein sollte. Dank der Sensibilität der Kamerafrau Bernadette Paassen ist uns Ähnliches beim Drehen gelungen. Bernadette verzichtete fast vollständig auf künstliches Licht, da die Schauspieler in der Szenenentwicklung nie durch Lichtstative oder sonstiges Equipment gestört werden sollten. Das erlaubte ihnen ganz frei und unabgelenkt nach ihrer Rolle zu suchen, ohne ständig technische Begrenzungen im Kopf haben zu müssen. Bernadette suchte in dem lebendigen Geschehen dann selbst, wie eine Dokumentaristin, nach kleinen Gesten, Gesichtsausdrücken, feinen Details, die sonst verloren gegangen wären, den Film und die Figuren aber um so vieles reicher und vollständiger machen.

Der Tod ist sehr präsent neben der (körperlichen) Liebe. Nicht nur in den Erzählungen des Jungen, sondern auch im raffiniert konstruierten Ende. Jugend und Alter, Körper und Liebe, Leben und Tod gehen sehr in einander …

Wir leben in einer Gesellschaft, die aus Einteilungen und Bewertung besteht, um das Leben leichter verständlich zu machen. Tod und Leben gelten als zwei verschiedene Sachen und sind gegensätzlich positioniert, Jugend und Alter anscheinend auch. Dabei passieren die Sachen nach meinem Verständnis alle gleichzeitig. Der Film ist ein emotionales Portrait und kein Tatsachenbericht. Er versucht die Gefühle nicht sauber aufgereiht auf einer Perlenschnur zu zeigen, sondern so, wie sie wirklich sind. Jetzt und immer alles gleichzeitig. Bei der Weltpremiere in Locarno sagte mir eine Frau, daß sie den Film nicht als Liebesfilm sehen könne. Sie würde neben all den liebevollen Bemühungen Georgs auch so viel Eigennutz und Betrug an Sebastian erkennen. Ich war damals sehr froh über die Entdeckung der Frau, und hatte das erste Mal das Gefühl, daß unser (Liebes-)Film gelungen war.

Kann man in einem Sub-Subgenre zwischen Queer- und Arthaus-Film auf ein größeres Publikum jenseits von Kritikererfolg hoffen?

Hoffen ja. Beim Erwarten wird es schwierig. Der Film, der als Abschlußfilm an der Kunsthochschule für Medien in Köln entstanden ist, hat eine erhoffte, aber nicht erwartbare Karriere hingelegt. Er gilt mit seinem Minibudget von 4000 Euro als absolutes Produktionswunder. Er hat es nicht nur geschafft auf über 40 internationalen Festivals eingeladen zu werden, sondern konnte nebenbei auch noch einen Preis nach dem anderen gewinnen. Die Auszeichnung mit der Goldenen Lola, dem Deutschen Filmpreis ist sicherlich einer der überragenden Höhepunkte seiner Festivalkarriere gewesen. Beim Kinostart, der Bundesweit bereits am 25.10. war, erhoffe ich mir viel, versuche aber mit den Erwartungen vorsichtig umzugehen. Thematisch kennt der Film keine Abgrenzung zwischen Schwulenfilm und Heterofilm (an letzterem Begriff macht sich die ganze Absurdität dieser Einordnungen deutlich). Er ist einfach ein Art-House Film! Nichtsdestotrotz erfährt der Film diese sexuelle Kategorisierung. Der „schwule Stempel“ tut seine ganze Arbeit und macht es vielen Zuschauern von vornherein schwer, sich für den Film zu interessieren: „Das betrifft mich nicht!“. Gleichzeitig fällt es „Solange Du hier bist“ aber genauso schwer das Queerpublikum zu gewinnen, weil der Film dafür einfach nicht schwul genug ist: „Das betrifft mich nicht!“. Ich glaube aber, daß keine der Reaktionen dem Film gerecht wird. Die Geschichte basiert zwar auf zwei schwulen Charakteren, behandelt aber Allumfassendes und überhaupt nichts Gruppenspezifisches. Im Vordergrund stehen Emotionen, Regungen, Wünsche, Hoffnungen und die Suche nach Nähe und Zärtlichkeit, die auch in höherem Alter und losgelöst von sexuellen Vorlieben Gültigkeit haben. Der Film blickt nicht in das Leben eines älteren, schwulen Mannes der primär schwul ist, sondern in erster Linie Mensch.

(Bundesstart: 25.10.2007; NRW-Start: 10.1.2008)

Eine kürzere Version des Interviews erschien in choices 01/08