„Stellet Licht“ von Carlos Reygadas

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Eine Mennonitengemeinde in Mexiko: Johan lebt mit seiner Frau Esther und seinen sechs Kindern ein scheinbar friedliches Leben. Doch er liebt noch eine andere Frau … Wenn man kurzweilige Unterhaltung sucht, ist der neue Film von Carlos Reygadas eine große Herausforderung. „Stellet Licht“ beginnt mit einem fünfminütigen Sonnenaufgang, der einen adäquat auf die folgenden 136 Minuten einstimmt: In einer plattdeutschen Mennonitengemeinde im Norden Mexikos werden drei Menschen auf eine harte Probe gestellt. Der Bauer Johan hat mit seiner Frau Esther sechs Kinder, doch er liebt Marianne. Die seltenen Treffen mit ihr sind voller Leidenschaft, während das Zusammenleben mit seiner Familie eine gelassene Ruhe ausstrahlt. Beide Frauen wissen voneinander, denn Johan geht offensiv mit dem Problem um. Mit den Frauen, aber auch mit Nachbarn oder seinem Vater bespricht er seine Lage. Eine Lage, die er als ebenso schmerzhaft empfindet wie die beiden Frauen. Und doch findet sich keine Lösung. Zu groß ist das Glück, dass er mit Marianne erlebt, als dass er es aufgeben möchte. Und zu groß ist seine Verantwortung, als dass er seine Familie verlassen könnte. Außerdem lastet die Situation auch als große Sünde vor Gott auf den Schultern des tief religiösen Mannes. Schließlich trennen sich Johan und Marianne. Aber das Leiden der Drei hat damit noch kein Ende.

Carlos Reygadas ästhetische Konzepte waren immer schon bemerkenswert. Der gelernte Jurist hat in seinen ersten beiden Filmen „Japón“ von 2002 und „Schlacht im Himmel“ von 2005 mit bemerkenswerten Kamerafahrten – die Schlusseinstellung von „Japón“ ist unvergleichlich – beeindrucken können. Sein dokumentarisch wirkender Stil und seine Arbeit mit Laiendarstellern entfalteten schon dort eine große Kraft. Die Sexszenen der Filme überstrahlten diese Qualitäten leider, sie wirken darin unglücklich provokativ. „Stellet Licht“ ist insgesamt viel zurückgenommener und damit auch konzentrierter. Es gibt wundervolle Momente der Ruhe und ergreifende Augenblicke der Zärtlichkeit in diesem Film. Und es gibt erschütternde Szenen des Schmerzes und der Hilflosigkeit. Die Intensität erreicht Reygadas mit langen Einstellungen, die in langen Plansequenzen durchaus bewegt sind, aber dennoch eine rücksichtsvolle Vorsicht zeigen.

Die Ruhe der Bilder in Verbindung mit einem existentiellen, religiösen Grundton erinnerte bereits in „Japón“ an Andrei Tarkowski. Mit „Stellet Licht“ wird ein weiterer Regisseur als Vorbild deutlich. Der Däne Carl Theodor Dreyer war ebenfalls ein Meister des Minimalismus, drehte seine ruhigen Filme gerne in schlichten Szenarien und mit Laiendarstellern. Ganz deutlich wird Dreyers Einfluss auf Reygadas am Schluss, wenn der Film in einer wunderschönen Wendung Dreyers Film „Das Wort“ von 1955 zitiert. Danach glaubt man auch ohne religiöse Einstellung, das Kino als anderer Mensch zu verlassen.
(Bundesstart: 18.7.2009)

Zuerst erschienen in choices 06.09