Die Geschichte wird von Siegern geschrieben. Diese Erkenntnis stellt Julie Delphy an den Anfang ihres neuen Films „Die Gräfin“ … Der Film, ein Portrait der ungarischen Gräfin Erzébet Báthory, versucht, diese offensichtliche Tatsache zu relativieren. Denn Báthorys Lebensgeschichte wurde vielfach geschrieben und wieder umgeschrieben.
Báthory wurde 1560 in Ungarn geboren, sie starb 54 Jahre später in einem zugemauerten Zimmer ihrer Burg. Man hatte sie drei Jahre zuvor zahlreicher Morde angeklagt. Ihr wurde der Prozess gemacht,in dessen Verlauf mehrere ihrer Bediensteten zum Tode verurteilt wurde, während sie lebenslänglich eingemauert wurde. Soweit die stichhaltigen Fakten. Der näheren Umstände und die Zahl der Morde, die auf das Konto der so genannten Blutgräfin gehen, wurden nie ganz aufgeklärt. Das gab Spielraum für eine reiche Mythenbildung. Ob sie nun für die Folter und den Tod von 80 oder 600 jungen Mädchen verantwortlich war, ob sie ihr Blut auch trank oder sogar darin badetet – wer kann das heute noch sagen?
Delphy handelt die frühkindliche Konditionierung der Gräfin auf Härte und Grausamkeit im Vorspann ab: Sie wuchs in unglaublichem Reichtum auf, aber auch in strengster Erziehung. Mit elf Jahren wurde sie verlobt, mit 15 Jahren verheiratet. Die Macht der Familie vergrößerte sich immer mehr, sogar der ungarische König gehörte zu den Schuldnern der Familie. Nachdem ihr Mann starb, hatte sie eine Affäre mit dem wesentlich jüngeren Istvan. Dessen Vater Graf Thurzo (William Hurt) intrigiert, um die Beziehung zu beenden. Báthory fühlt sich verletzt und gedemütigt. In ihrem Schmerz glaubt sie, ihr gealterter Körper sei die Ursache für die Zurückweisung, und sie versucht sich zu verjüngen. Sie versteigt sich in die Idee, das ihr das Blut von unzähligen Jungfrauen dabei helfen kann. Der wohltemperierte Daniel Brühl ist allerdings eine wenig gelungene Besetzung für einen Mann, der eine Báthory um den Verstand bringt.
Julie Delphys Version des ausgehenden Mittelalters ist düster. Darin deckt es sich mit vergleichbaren jüngeren Historienfilmen. Was den Film aber vor allem auszeichnet und dadurch angenehm unangenehm macht, ist seine Statik, die Enge, das relativ kleine Figurenarsenal. Wenig lebendig ist das Leben der Gräfin auf ihrer Burg. Und doch wirkt sie zunächst einnehmend. Julie Delphy erzählt nicht nur von einer grausamen, blutrünstigen Herrscherin, sondern auch von einer selbstbewussten Frau, die redegewand ist, ihren Kontrahenten Paroli bietet und weiß, was sie will. Fast möchte man eine explizit feministische Perspektive darin erkennen, die die Gräfin und ihr Tun vor dem Hintergrund einer korrupten Männerherrschaft rechtfertigt. So weit geht die Regisseurin allerdings nicht, auch wenn sie eine Zeit lang Verständnis für ihre Figur zeigt, die für ihre Leidenschaft kämpft, sich aber schließlich unentschuldbar in ihrem Wahn verliert.
(Bundesstart: 25.6.2009)
Zuerst erschienen in intro 06.09


