„Lost Girls“ von Alan Moore & Melinda Gebbie

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Der Comic-Salon Erlangen hat wieder eine Menge Neuveröffentlichungen angeschwemmt. Die wohl spektakulärste dürfte die deutsche Ausgabe von „Lost Girls“ sein … Für die Fertigstellung des  monumentalen, dreibändigen Werkes haben die Zeichnerin Melinda Gebbie und der Autor Alan Moore 16 Jahre benötigt. Der unverhohlen pornografische Comic versucht sich an einer künstlerischen Aufwertung des Genres beziehungsweise der Pornografie allgemein. Das gelingt mit einer komplexen Erzählstruktur, die voller literarischen und visuellen Anspielungen steckt. Wie bereits in „The League Of Extraordinary Gentlemen“ bringt Moore verschiedene literarische Gestalten zusammen. Alice aus „Alice im Wunderland“, Dorothy aus „Der Zauberer von Oz“ und Wendy aus „Peter Pan“ residieren kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im österreichischen Hotel Himmelreich und erzählen von ihren sexuellen Abenteuern und werden dort auch schnell gemeinsam aktiv. Die Geschichten sind gleichermaßen Stimulation für ihre sexuellen Spiele als auch Therapie, um an ihre Verletzungen aus der Kindheit zu gelangen. Die Geschichten der Frauen und ihre gemeinsamen Vergnügungen werden mit der Zeit immer extremer und lassen auch einen Blick auf die symptomatischen Aspekte von Sexualität zu. Am Schluss hebt sich das Sexuelle als Symbol für Freiheit aber hell vor der düsteren Kulisse des drohenden Ersten Weltkriegs ab.
Moore webt mit den Hinweisen auf den sich ankündigenden Ersten Weltkrieg oder eine Aufführung von Strawinskis „Le Sacre Du Printemps“ Historie ein, während Gebbie auf der visuellen Ebene zeitgenössische Kunst, insbesondere Jugendstil durch Aubrey Beardsley und Expressionismus mit Egon Schiele auferstehen lässt. Oscar Wilde und Thomas Mann sind weitere Bezüge dieses komplexen und liebevoll gestalteten Opus Magnum, das beim Lesen tatsächlich auch noch seine stimulierende Funktion als Pornografie erfüllt.
Moore wurde gerade auf dem Comicsalon in Erlangen für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Das gleichzeitige Erscheinen von „Lost Girls“ dürfte die Entscheidung noch etwas leichter gemacht haben, auch wenn Alan Moore mit „Watchmen“ und „From Hell“ sowieso schon in den Comic-Olymp aufgestiegen war. Das Werk hat die beiden Künstler übrigens auch privat näher gebracht: Im letzten Jahr haben Melinda Gebbie und Alan Moore geheiratet.
(3 Alben im Schuber, Hardcover, vierfarbig, 336 Seiten
Euro 75,00, Cross-Cult).