„The Limits of Control“ von Jim Jarmusch

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Man wähnt sich in den tiefsten 70er Jahren, wenn zu Beginn des Films Isaach De Bankolé auf seinen ersten Kontaktmann trifft. Das Umfeld, ein moderner Flughafen, ist jedoch leicht in der Gegenwart zu verorten … Auch trägt hier niemand Schlaghosen. Es ist ein kaum greifbares Gefühl von Style und Coolness, das weniger trashig als bei Tarantino an Krimis der 60er und 70er Jahre erinnert. Halb im Scherz hat Jim Jarmusch in einem Interview angemerkt, ihn habe interessiert, wie es wohl ausgesehen hätte, wenn Jacques Rivette John Boormans „Point Blank“ inszeniert hätte. „Point Blank“ ist ein cool gestylter amerikanischer Gangsterfilm von 1967, zeitgemäß mit psychedelischen Effekten garniert. Der Nouvelle Vague Regisseur Jacques Rivette hingegen bevorzugt eher schlichte und alltägliche Hintergründe, seine Geschichten wandern aber regelmäßig sehr zielstrebig vom Alltag ins Mystische: Verschwörungen lauern hinter jeder banalen Ecke, Gewissheiten verlieren sich.

Referenzsystem

Warum so viel über andere Filme reden, wenn es hier doch um den neuen Film von Jim Jarmusch gehen soll. Ganz einfach: Jarmusch und sein Film – sie beide reden auch andauernd von anderen Filmen. „Ich mag Filme, in denen die Leute nur da sitzen und nichts sagen“, sinniert Tilda Swinton in ihrem kurzen Auftritt als Blondine, und sitzt dann da, neben dem Protagonisten, und schweigt. Später sieht man sie auf einem alten Kinoplakat in einer Gasse. Kurz darauf wird sie von dunklen Gestalten verschleppt. Schließlich hatte sie auch angemerkt, dass die Blondinen am Ende immer sterben. Jim Jarmusch entfaltet in „The Limits of Control“ ein dichtes Netz an Verweisen und Referenzen, das weit über den filmhistorischen Kontext hinausgeht. Bildende Kunst ist ebenso Thema wie Musik, Architektur oder Literatur (schon der Titel ist ein Zitat von William Burroughs). Mal sind es Gespräche über die Künste, mal visuelle oder akustische Zitate, und mal geht die Hauptfigur einfach ins Museum und guckt sich mit uns ein Bild an.

Eine klassische Handlung fällt dahinter sehr knapp aus: Der schweigsame Fremde vom Flughafen bezieht ein Zimmer in dem wunderbaren, 1968 errichteten Hochhaus Torres Blancas in Madrid und wartet täglich in einem Café auf seine Kontaktpersonen. Rituale bestimmen den Zeitverlauf: Warten, Meditieren, Kaffeetrinken, ins Museum Gehen und mit skurrilen Gestalten Streichholzschachteln mit Geheimbotschaften Austauschen. Die knappen Dialoge bestehen aus Variationen von düsteren Aphorismen wie dem folgenden: „Diejenigen, die glauben, sie sind mehr als die anderen, sollen sich zum Friedhof begeben und sehen, was das Leben ist: eine Handvoll Erde“. Mal wird der Spruch bei einem konspirativen Treffen ins Ohr geraunt, mal in einer Bar als Flamenco geschmettert.

Größter Schauwert

Der Fremde bewegt sich von der Hauptstadt über Sevilla in immer kleinere Orte, bis er schließlich in der Einöde ein verlassenes Haus erreicht. Unweit davon wartet sein geheimnisvoller Auftrag, in die Tat umgesetzt zu werden. Die schlichte Struktur von „The Limits of Control“ erinnert sehr stark an Jarmuschs letzten Film „Broken Flowers“. Ein einsamer Mann zieht durchs Land und begegnet verschiedenen Menschen. Am Ende haben beide eine Kreisbewegung vollzogen, inwieweit sie auch geistig im Kreis gelaufen sind, lässt sich nicht genau sagen. Dort war Bill Murray als Don Johnston auf der Suche nach der Mutter eines vermeintlich gemeinsamen Sohnes. Hier ist es eine namenlose Figur auf einer Reise mit unbekanntem Ziel. Das verdeutlicht die Unterschiede der Filme. Jarmuschs neues Werk ist abstrakt und verweigert sich weitgehend dem klassischen Erzählkino. Damit dürften einige Fans von „Broken Flowers“ ihre Schwierigkeiten haben. Doch Jarmusch beendet damit selbst eine Kreisbewegung. Mit seinem rohen, handlungsarmen Debüt „Permanent Vacation“ entwickelte er bereits 1980 eine Hauptfigur, die nur als Medium diente, um den Blick für die Welt zu öffnen. Dies geschieht knapp dreißig Jahre später galant und mit größtem Schauwert. Dafür sorgt die wunderbare Fotografie von Kameramann Christopher Doyle, die viel zu der getragenen, leicht surrealen Stimmung des Films beiträgt.

„The Limits of Control“ wirkt nur für den kurzen Moment des narrativen Höhepunkts wütend, rückwirkend prägt das jedoch den Eindruck des Films: Er ist ein nachdrückliches Plädoyer für die Kunst und gegen die Vorherrschaft der Wirklichkeit. Ein Angriff der Vorstellungskraft auf die dröge Vormacht der Tatsachen. Mit seiner subversiven Pointe ist der Film allerdings mehr als eine an Referenzen reiche L’art pour l’art. Er ist ein offenes Gefäß, das mit seinem Netz an Zitaten, Verweisen und Mehrdeutigkeiten auch soziale und politische Fragen anstoßen kann. In den allerletzten Sekunden taucht der Film dann wieder grell und hektisch ein in die Wirklichkeit, die er zwei Stunden lang kunstvoll transformiert hat.

Zuerst erschienen in choices 06.09