Der Autor Truman Capote schafft mit seinem Tatsachenroman „Kaltblütig“ zwar nicht ein komplett neues Genre. Dem großartigen Werk, das er unbedingt schreiben wollte, ist er nach sechs Jahren Arbeit aber sehr nahe gekommen. Doch er zahlt einen hohen Preis dafür.

Bennett Miller wählt ein interessantes Themenfenster: Der Film ist nicht die Verfilmung des Lebens von Truman Capote, wie der Titel nahe legen könnte. Und er ist auch nicht eine weitere Verfilmung von Capotes Roman „Kaltblütig“, obwohl der Inhalt des Films fast identisch mit dem des Romans ist. Aber nur fast, denn eine Figur des Films taucht im Buch überhaupt nicht auf – die Hauptfigur. Bennett Miller tritt mit Hilfe seines Drehbuchautors Dan Futterman und gestützt auf Gerlad Clarkes Biografie „Capote“ einen Schritt vom Roman zurück, und plötzlich kommt der Autor ins Blickfeld.
Der exzentrische Autor Truman Capote (sehr beeindruckend Philip Seymour Hoffman) beginnt nach seinem Erfolg „Frühstück bei Tiffany“ Recherchen zu einem Mordfall im Mittelwesten – eine vierköpfige Farmerfamilie war nach einem Raubüberfall tot aufgefunden worden – und reist Ende ’59, noch vor der Festnahme der beiden Täter, an den Ort des Verbrechens. Schnell ist Capote von dem Thema gebannt, und als er nach der Festnahme der Täter vor allem Perry Smith näher kommt und in dessen sensibler Einsamkeit eine Wesensverwandtschaft erkennt, vielleicht auch Liebe für ihn empfindet, kann er nicht mehr loslassen: Es soll sein bis dahin ambitioniertestes Projekt werden, bei dem er Journalismus und Literatur auf unnachahmliche Weise miteinander verbindet.
Richard Brooks gleichnamiger Film von 1967 erzählt eindrucksvoll den Roman nach. Mitchells Film erzählt Capotes Arbeit an dem Roman nach und somit automatisch auch die Ereignisse des Falls. Was hier hinzukommt, ist allerdings nicht nur eine Figur, sondern die spannende Entstehungsgeschichte dieses legendären Romans, der den Tatsachenroman zwischen Beatniks und New Journalism perfektionierte. Und es ist vor allem die schonungslos erzählte Geschichte eines einsamen, arroganten Narzissten (man lese nur „Ich bin schwul. Ich bin süchtig. Ich bin ein Genie“, sein 250 Seiten langes Gespräch mit Lawrence Grobel). Vor allem den moralischen Zwiespalt, Nutznießer der Hinrichtung zu sein – erst dann kann er sein Buch beenden – schildert der Film. Capote hat dies nie verwunden, auch wenn er weiterhin seine Rolle als Superstar in der Öffentlichkeit genoss.
(Bundesstart: 2.3.06)
Zuerst erschienen in choices 03/06

