Die noch junge Karriere des italienischen Künstlers Gipi entwickelt sich rasant. Nach den zwei langen Geschichten Le Local“ (bislang nicht auf deutsch erhältlich) und „Aufzeichnungen für eine Kriegsgeschichte„, den zwei Kurzgeschichten in der Kollektion Ignatz und der Geschichtensammlung „Nachtaufnahmen“ ist er einer der gefeiertsten Newcomer der Comicszene. Zuletzt wurde das mit der Auszeichnung der Kriegsgeschichten als bester Comic beim Festival in Angoulème unterstrichen.
„Aufzeichnungen für eine Kriegsgeschichte“ erzählt von drei Jugendlichen, die sich in den Kriegswirren durchschlagen müssen. Giuliano erzählt rückblickend, wie sie durch den Krieg – die Geschichte ist in der nahen Zukunft in Italien angesiedelt – aus ihrem Alltag gerissen werden. Sie schlagen sich notdürftig mit Hehlerei durch. Für die beiden Freunde Christian und Stefano eröffnen sich jedoch ungeahnte Möglichkeiten. Während Giuliano aus der Mittelschicht kommt, sind die anderen beiden Verlierer der Gesellschaft und können sich in den neuen Verhältnissen nur verbessern. Durch den Kriminellen Felix werden sie Dealer und schließlich Geldeintreiber. Vor allem der skrupellose Stefano kann die neuen Verhältnisse für sich nutzen – die Hierarchien ändern sich.
Gipis Stil bewegt sich von seinen ersten, sehr malerischen Arbeiten zunehmend in die Richtung schlichterer Zeichnungen mit einem harten, kantigen Strich. Das passt ausgezeichnet zu seinen Sujets, die er meist in der gewalttätigen, armen Jugend der italienischen Provinz findet. Der Aquarell-Hintergrund ist dann auch kaum geschmeidig, sondern wirkt schmuddelig wie die staubigen Straßen und die heruntergekommenen Häuser in der Landschaft. Schnell denkt man an Film-Klassiker des Neorealismus, an Pasolinis Vorortdramen „Mamma Roma“ und „Accatone“ oder an Viscontis „Rocco und seine Brüder“. Eine ähnliche Nähe zu den Figuren stellt Gipi mit der Charakterisierung der drei Jungen und ihrer Beziehung zueinander her. Die soziale Herkunft spielt dabei eine große Rolle, das merkt nicht nur Giuliano in seinen Träumen, für die Gipi wie bereits in seinen anderen Arbeiten den Zeichenstil ändert. Am Ende holt sie alle die gesellschaftliche Ordnung wieder ein. Wie Gipi vor allem auf den letzten Seiten gleich mehrere überraschende und bedeutsame Wendungen einbaut, zeugt von seiner dramaturgischen Souveränität.
(Avant-Verlag, 2006, 114 Seiten, zweifarbig, 19,95 Euro)
Zuerst erschienen in Strapazin Nr. 85, 12/06