„Sie haben Knut“ von Stefan Krohmer

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Die frühen 80er Jahre, Ingo und Nadja: Sie wollen eigentlich ruhige Wochen in einer Skihütte verbringen und ihre verfahrene Beziehungskiste zurechtrücken. Doch da tauchen Freunde von Nadjas politisch aktivem Bruder auf, und mit der Ruhe ist es schnell vorbei …

1983: die Ostermärsche haben in der Bundesrepublik Deutschland Hochkonjunktur! Im Bundestag sitzen die Abgeordneten der Grünen in Wollpullis und Stricken! 15 Jahre nach ’68 ist das visuelle Erscheinungsbild trotz Punks, Popper und anderen (jugend-)kulturellen Entwicklungen noch deutlich vom Hippietum geprägt. Dieses äußere Erscheinungsbild paart sich mit einem weichen Innerlichkeitsideal und einem dogmatischen Hang zum politischen Aktivismus. So war das damals: löblich und nervig gleichermaßen!
In diesem Umfeld beschließen Ingo und Nadja, ihre angeschlagene Beziehung während eines Winterurlaubs in der Skihütte von Nadjas Eltern ‚auszudiskutieren’. Wie sich im Folgenden herausstellt, ist das aber mehr Ingos als Nadjas Wunsch. Denn als eine Horde urlaubsfreudiger Freunde von Knut, Nadjas älterem Bruder, in die Hütte einfällt, stört das im Gegensatz zu Ingo Nadja wenig – sie freut sich über die Ablenkung! Aber Knut selbst fehlt, denn „sie haben Knut“! Die Nachricht, dass Knut bei einer seiner politischen Aktionen von der Polizei geschnappt worden ist, löst in der heterogenen Gruppe die unterschiedlichsten Reaktionen hervor: die einen wollen aus dem Urlaub eine Art subversives Aktionstreffen zur Befreiung von Knut machen, die anderen wollen trotz allem ihren Urlaub genießen. Es beginnt ein Balanceakt zwischen den einzelnen Positionen, der zunehmend zu Anfeindungen führt: politisch orientierte Spaßfeinde gegen skifahrende Frohnaturen! Und zwischendrin Ingo und Nadja mit ihren Beziehungsproblemen.
Bei der interessanten Ausleuchtungen der untergehenden 70er- und der aufkommenden 80er-Generation mit den diametral gegeneinander stehenden Lebensentwürfen ist vor allem die absolut treffende Charakterisierung der Typen in diesem gruppendynamischen Szenarium beeindruckend. Jeder, der die Zeit auch nur vage miterlebt hat, wird alle Positionen, vom alternden Studenten-Aktivisten zum pubertierenden Hörer ‚kalter’, elektronischer Musik mit Hass auf alle ‚Weichei-Hippies’, vom hippiebeseeltem Gitarrenklampfer zum Ski-Lehrer-Schnösel kennen. Selten waren Dialoge im deutschen Film so treffend realistisch.

(Bundesstart: 30.10.2003)

Zuerst erschienen in choices 11/03