„Battle in Heaven“ von Carlos Reygadas

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Marcos hat ein Kind entführt – nun ist es gestorben. Ein virtuoser Film über Schuld und Sühne, aber auch ein Film über Klassenunterschiede im Mexiko der Gegenwart … Einheitlichkeit ist nicht gerade das Prinzip seiner Filme. Zwischen sachlichem Realismus und kunstvollem Pathos schaukelt der Mexikanische Regisseur Carlos Reygadas den Zuschauer durch seine Geschichten. Hier eine stoische Kamera, die minutenlang das Treiben in einem U-Bahn-Gang beobachtet oder die Wände eines Innenhofs entlang schleicht, scheinbar ohne jegliche Zielgerichtetheit. Dort Symbol beladene Bilder großer Landschaftspanoramen, die zwischen klassischer Romantik und Tarkowski-Kinematografie anzusiedeln sind. Reygadas macht Kino, das deutlich in unterschiedlichsten Traditionen steht, und doch ist er ein Solitär des Gegenwartskinos.

Die Geschichte des Films ist schnell erzählt und erzählt gleichsam wenig über den Film: Um an Geld zu kommen, hat der Chauffeur Marcos zusammen mit seiner Frau das Kind einer Verwandten entführt, nun ist es gestorben. Das alles findet nicht einmal im Film statt, es wird nur als Vorgeschichte erzählt. Marcos fährt Anna, die Tochter seines Chefs, nach Hause. Aus Langeweile arbeitet sie in einem Edelbordell, und manchmal tut sie Marcos einen ‚Gefallen‘. Als er ihr von seiner Tat erzählt, rät sie ihm, sich zu stellen. Marcos weiß nicht, was er tun soll.

Es kommt einem so vor, als kippe Reygardas Film ständig hin und her ? von einem Augenblick teilnahmsloser Beobachtung zu Momenten höchster Handlungs- und Emotionsdichte. In einer virtuosen Plansequenz fährt der Zuschauer minutenlang mit Marcos und Anna durch die Straßen der Stadt, die Kamera guckt mal hier aus dem Fenster, bleibt mal dort hängen, schweift ab und entfernt sich von der eigentlichen Handlungsebene. Dies sind unglaublich spannende Momente, weil sie die weiteste Entfernung von konventioneller Dramaturgie einnehmen, alles möglich wird. Dann wiederum ist der Film unerbittlich nah an seinen Figuren, lässt nicht ab von ihnen, nimmt jede Regung auf. Diese Unerbittlichkeit hat zuweilen etwas voyeuristisches, ist aber durchaus auch positiv zu deuten als ein sich kümmern. Reygadas Zweitling steht seinem großartigen Debut „Japon“ in nichts nach, ist allerdings eine Herausforderung an das Publikum. Nicht nur wegen seiner unkonventionellen Machart, sondern auch wegen einiger Schocks, die denen eines Michael Haneke in nichts nachstehen.

(Bundesstart: 20.7.06)

Zuerst erschienen in choices 07/06

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