„Sehnsucht“ von Valeska Grisebach (Interview)

Markus und Ella sind seit ihrer Kindheit ein Paar. In ihrer dörflichen Umgebung genügen sich die beiden. Als Markus bei einer Dienstreise eine andere Frau kennen lernt, gerät sein Leben aus den Fugen.

Was für ein Filmtitel! „Ein Liebesfilm“ heißt es noch, nicht minder Eindeutig, im Untertitel. So schlicht die Worte, so groß ihre Bedeutung. Das trifft auch auf den Film zu, der mit Laiendarstellern – ein Begriff, den die Regisseurin nicht sonderlich mag – in einem kleinen Dorf gedreht wurde. Die Geschichte von dem Schlosser und der Haushaltshilfe ist eine der eindringlichsten, die man seit langer Zeit im Kino sehen konnte. „Sehnsucht“ ist wieder einer jener neuen deutschen Filme, der den Figuren so nahe kommt, dass man sich als Zuschauer fast als Störenfried in deren Intimsphäre fühlt. Hier entsteht eine Tiefe der Gefühle, von der Regisseure von Hochglanz-Melodramen nur träumen können. Und das Ende dieses wunderbaren Films ist schier unglaublich.

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INTERVIEW MIT VALESKA GRIESEBACK:
Inwiefern unterscheidet sich die Zusammenarbeit mit Laien von der mit professionellen Schauspielern?


Ich verstehe die Frage, aber bin auch immer wieder von ihr überrascht, da ich selber diese Trennung nicht so sauber vollziehe. Für mich hat Spielen viel mit gesundem Menschenverstand zu tun, Dinge erinnern, erforschen und sie zum Ausdruck bringen. Zu sehen, ob man sich in der Phantasie trifft. Grundsätzlich denke ich, geht es immer darum, die Bedürfnisse eines Projektes zu verstehen und dafür die richtigen Darsteller zu finden. In diesem Fall ging es darum, Darsteller zu finden, von denen man es nicht gewohnt ist, sie in einem Film als Hauptdarsteller zu sehen. Auch, um ein Bild dafür zu finden, dass jeder Mensch der Hauptdarsteller, melodramatische Held seines Lebens ist.

Wie sehr haben die Darsteller sich selbst eingebracht, haben ihre Rolle geprägt bzw. spielen gar sich selbst?
Sie haben sich in das Abenteuer einer fremden, fiktiven Geschichte begeben. Natürlich funktioniert das nur, wenn man gleichzeitig persönlich wird und eigene Erfahrungen mit ins Spiel bringt. Mir ist wichtig, dass die schauspielerische Leistung verstanden und gewürdigt wird, die sich die drei Darsteller in intensiver Probenzeit erarbeitet haben. Die drei haben sich wirklich etwas getraut, hatten eine tolle Intuition und nutzten sehr treffsicher ihren eigenen Gefühlsfundus. Sie sind für mich die Stars des Films.

Was ist das für ein Phänomen, sich als Intellektueller mit so genannten ‚einfachen’ Menschen zu beschäftigen? Beispiele dafür gibt es ja genug: von Pasolini über Ken Loach zu den Dardenne-Brüdern. Ist das nur die Verneinung der überhöhten Hollywood-Sicht auf das Leben, oder allgemein die ‚Sehnsucht’ nach dem einfachen und unverfremdeten Leben?
Mir ging es vor allem um eine Art von Reduktion … der Schritt in eine vielleicht zeitlosere, altmodischere Welt, die man vielleicht mit dem Begriff Dorf verbinden kann. So wie das Dorf im Film erzählt wird, hat das mit einem realen Dorf in Brandenburg relativ wenig zu tun. Es ging darum, eine Bühne für die Geschichte zu finden, auf der man auf das Grundsätzliche hin erzählen kann: der Mann, die Frau, das Haus, die Liebe. Die Geschichte ist ja ganz einfach und simpel, fast wie ein Country-Song.

Wie geht man nach einem solchen Kritikererfolg an den nächsten Film heran? Ist der Erwartungsdruck groß?
Der Druck ist immer wieder da, den kann man auch nicht kontrollieren. Der überrumpelt einen hinterrücks. Auf der anderen Seite finde ich es schön, dass man mit jedem neuen Film wieder zurück auf Anfang muss und sich die Karten neu mischen. Da ist Neugierde, was das nächste sein wird.
(Bundesstart: 7.9.2006)

Zuerst erschienen in choices 10/06